Bildakt und Verkörperung

Viele kognitive Prozesse werden mit räumlichen Metaphern beschrieben: ver-stehen, be-greifen, durch-steigen. Ein reduktionistischer Ansatz, der menschliches Erleben (z.B. Kunstbetrachtung) auf rein organische, d.h. biochemische Vorgänge im Gehirn zurückführen möchte, greift vermutlich zu kurz.

Im interdisziplinären Miteinander zwischen Kunstgeschichte und Philosophie sei hier auf die weitreichenden Arbeiten von Prof. Bredekamp und Prof. Krois hingewiesen.

Die Kolleg-Forschergruppe „Bildakt und Verkörperung“ zielt auf eine Transformation der Abbild- zu einer Bildakttheorie. Inhaltliche Schwerpunkte bilden die Untersuchung der besonderen Form von Bildern, das Phänomen ihrer Lebendigkeit sowie die Substitution von Körper und Bild. Diese Themen werden durch zwei Forschungsperspektiven im Verbund untersucht: die „Theorie des Bildakts“ (Prof. Bredekamp) und die „Verkörperungstheorie“ (Prof. Krois) (†). (Quelle)

Auf dem Fundament historischer Bildphänomene soll eine Bild- und Verkörperungstheorie entwickelt werden, die die Basis für die Erforschung aktueller Fragen von bildgebenden Verfahren, Bildverarbeitung und Verkörperungsfragen in den Kognitionswissenschaften bietet und damit das Verständnis des Reflexionsvermögens in seiner gesamten Bandbreite berührt. Bildakte und Bilder allgemein lassen sich – so die Arbeitshypothese – erst dann vollständig erklären, wenn ihre Form und Lebendigkeit, ihre Fähigkeit anderes zu vertreten und gegenstandslose Stimmungen darzustellen, auf der Basis einer Verkörperungstheorie untersucht werden. Dafür ist die Verbindung von historischer Bildwissenschaft mit Forschungsansätzen der Verkörperungstheorie in der Philosophie und der Kognitionswissenschaft unabdingbar.

Zentrale Thesen sind erstens, dass in jeder Bilderkennung die Augen nicht als Wahrnehmungsorgan isoliert werden können, sondern dass der gesamte Körper wahrnimmt, und zweitens, dass Bilder niemals nur abbilden, sondern immer auch im Bildakt erzeugen, was sie darstellen. (Quelle)

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Maurizio Cattelan

Unter den Publikationen der Forschergruppe befindet sich auch die mittlerweile 20-bändige Schriftenreihe

Actus et Imago. Berliner Schriften für Bildaktforschung

Bilder sind keine Abbilder, sondern erzeugen im Bildakt, was sie darstellen. Sie verfügen über eine handlungsstiftende Kraft und wirken selbst lebendig. Bildkompetenz lässt sich keineswegs ausschließlich aus der traditionell überbewerteten Visualität des Menschen ableiten: Menschen reagieren auch deshalb auf Bilder, weil ihr unbewusstes neurologisches Körperschema, das aus der Integration taktiler, propriozeptiver, vestibulärer, visueller und akustischer Informationen entsteht, durch Bildschemata affiziert wird. Diese neuere Erkenntnis der Kognitionswissenschaften entspricht älteren Vorgaben der Verkörperungsphilosophie, die eine genuine Tradition im europäischen Sprachraum hat. In den Studien der Reihe Actus et Imago wird eine Bild- und Verkörperungstheorie entwickelt, die in der Lage ist, Bildproduktion, Bildverstehen und Bildakte zu erklären. Im Ausgang vom belebten Leib leisten sie einen Beitrag zum Verständnis des menschlichen Reflexionsvermögens, das sich in ikonischen wie sprachlichen Formen und Interaktionen verkörpert. (Quelle)

noch ein paar Zitate aus dem Buch „23 Manifeste zu Bildakt und Verkörperung

Bildakt

Der „Bildakt“ bezeichnet die Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln, die aus der Eigenkraft des Bildes und der Resonanz mit dem Gegenüber entsteht.

„Bildakt“ unterstellt ein Wechselspiel zwischen Bild und Betrachter, bei dem ein wesentlicher Impuls vom Gegenüber des Rezipienten ausgeht.

Der Bildakt ist ein Element eines neu zu fassenden Kulturbegriffs, der mit der autonomen Kraft aller dem Menschen entgegenkommenden Gestaltungen rechnet. Hierin ist er ebenso die Alternative zum Konzept des „Sprechakts“ wie ein Verteidiger der nicht weniger eigenständigen energeia der Lautsprache und der Schrift. Er bricht mit aller vorwiegend vom Bewusstsein des Menschen her gedachten Erkenntnistheorie, wie sie der radikale Konstruktivismus vertritt. Insofern dieser die Konditionen und Begrenzungen der menschlichen Wahrnehmung zum Maßstab macht, wird die Welt nicht zum Auslöser, sondern zum Produkt der Wahrnehmung. Dieser Regel setzt der Bildakt eine Wechselspannung mit dem Entgegenkommenden entgegen, und darin ist er eine Kritik der cartesisch inspirierten Moderne mit ihrer manichäischen Trennung von Subjekt und Objekt. Er formuliert eine sinnlich wahrnehmbare Sphäre der symbolischen Artikulation, in der keine Bewusstseinsform zu denken ist, die nicht vom Potential der gestalteten Welt geprägt wird.

Bildort

Die Entfaltung potentieller Bildwirkungen im Bildakt geschieht nicht im doppelpoligen Energieaustausch zwischen Bild und Betrachter. Sie vollzieht sich als triadische Konstellation aus Bild, Betrachter und Bildort. Die Orte, an denen Bilder gezeigt und wahrgenommen werden, wirken sich auf das Verständnis von ihnen und auf die möglichen Folgehandlungen aus. In der jüngeren Geschichte der Kunstgeschichte gab es mehrere Versuche der theoretischen und systematischen Untersuchung des Bildorts. Besonders der weiße Ausstellungsraum der Nachkriegsmoderne, der White Cube, stellt das historische Beispiel für die institutionstheoretische These der Kunst dar, wonach der Ort das Kunstobjekt überhaupt erst in den Adelsstand der Kunst erhebt. Die unterschiedlichen Methoden der Kunstgeschichte verweigern sich grundsätzlich nicht einer Einbeziehung des Bildortes.

Sobald der Betrachter als dritte Instanz neben dem Bild und dem Bildort das triadische Verhältnis komplettiert, entsteht eine ikonische Situation, die in dieser Konstellation die Grundlage für den Bildakt darstellt. Unter einer ikonischen Situation ist die Ganzheit derjenigen Disposition zu verstehen, in die der Betrachter eintritt, sobald er sich auf ein Bild bezieht oder unwillkürlich bezogen wird. In der ikonischen Situation sind ihm ein Platz und eine Rolle zugewiesen. Die Komplettierung der ikonischen Situation durch den Betrachter zeichnet dabei nicht das Bild und den Ort aus, sondern bildet vielmehr den Betrachter als Subjekt zu dem heran, was er ist. Die Auseinandersetzung mit ikonotopischen Verhältnissen wird damit zu einer Form der Anthropologie. Das Hinzutreten des Subjekts und die mit ihm erfolgende Erzeugung des situativen Ikonotops muss aber nicht zwangsläufig auf die Ganzheit der Situation bezogen sein. Die Ganzheit der Situation ist angesichts von unbegrenzten Orten und der Anzahl der Betrachter einer Betrachtergemeinschaft ein empirisch immer wieder neu auszulotender Begriff.

Verkörperung

Eine umfassende Theorie unserer Interaktion mit Bildern braucht deshalb beides: einerseits den Fokus auf die Prozesse des menschlichen Organismus als Teil einer gereiften Theorie der verkörperten Kognition, die verdeutlicht, wie kulturell geprägt und Welt-einschließend unsere handelnd-denkenden Wahrnehmungsprozesse bereits sind. Andererseits aber auch eine direkte Beschäftigung mit der Körperlichkeit des Bildes, das uns als externe (oder gespiegelte) Verkörperung im Artefakt entgegen tritt. Ohne ein Verständnis dieser Prozesse würde sowohl die Wirkmacht der Bilder als auch die verkörperte Kognition letztlich unverstanden bleiben.

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Ai Weiwei

Die Verkörperungstheorie verhandelt quasi die 4 E’s aus der „Theory of mind“ – Forschung:

There is not yet a consistent or complete theory of situatedness, rather there are several strands of research and the- orizing that can be subsumed under the catchword “the 4Es”: the embodied, extended, embedded and enacted mind (Lyre and Walter, 2013). The main idea is that in order to understand what cognition (the mental) is, it is necessary to take into account that cognitive capacities of a system may depend on the fact that those systems (our brains) are (i) embodied, i.e., coupled to our bodily constitution and that it therefore is necessary to regard the bodily realization of cognitive abilities as an integral part of the cognitive architecture; (ii) situationally embedded, i.e. are dependent in a specific way on their environment, i.e., cognitive systems exploit the specific circumstances of their environmental context in order to increase their performative abilities, (iii) extended, i.e., extend over the boundaries of our body into the technological or social environment and thus are constituted not only by internal factors but also by external, environmental factors and (iv) enacted, i.e., arise only by the active interaction of an autonomous systems with its environment (Walter, 2010). (Quelle)

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