John Updike über Cézanne

Paul Cézanne: Pinien und Felsen (1897) MoMA New York

„Doch am wohlsten fühlte ich mich inmitten der älteren und am wenigsten modernen Arbeiten des Museums. Dort stieß ich auf die Botschaft, derer ich bedurfte: Gott und menschliche Erhabenheit, wie sie auf den Ikonen und den Triptychen und den ermüdenden Panoramen älterer Museen dargestellt sind, mochten sich in Luft aufgelöst haben, aber es gab noch immer Schönheit. Schönheit inmitten unserer Ruinen, eine auf seltsame Weise reine Schönheit, eine blanke, grundlose Schönheit, deren Bedeutung allein in ihr selbst liegt. Cézannes Pinien und Felsen beispielsweise faszinierte mich, weil sein Sujet – jene paar Pinienstämme, jene fleckig gefärbten Felsen – auf so geheimnisvolle Weise verdienstvoll war im Vergleich zum üblichen Obst seiner Stillleben oder dem Mont Sainte-Victoire, den von ihm Porträtierten oder den nackten Badenden. Die Inbrunst von Cézannes Gemälden trat an diesem seltsam ruhigen Flecken Landschaft besonders deutlich hervor, für den er seine Staffelei quasi überall hätte aufstellen können. Auf diesem Bild verleihen die vielen kleinen Entscheidungen bezüglich Tonwert und Farbe den Partien, an denen sich das Grün der Pinien gegen das Blau des Himmels abhebt, einen erregten Schimmer. Das Gleiche gilt für jene Stellen der ockerfarbenen Stämme, wo Schatten und Umrisslinien ineinander übergehen. oder den Vordergrund, die Erde und das Gras, die mit parallelen diagonalen Strichen wiedergegeben sind. Blau, Grün und Ocker – diese Grundtöne werden für Cézanne nie langweilig, jedes Mal beobachtet er sie mit einem frischen Blick und fängt sie entsprechen ein. Aufgrund der intensiven Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird, verlieren die Motive des Malers an Materialität: Die Äste der Pinien schweben immer mal wieder losgelöst vom Stamm, und die Felsen haben nichts Schweres, ihre Flächen lösen sich im flinken Wechsel grau-blauer Schattierungen nahezu auf. Was bedeutete dies merkwürdig luftige Strenge, dieses Zittern angesichts des Profanen? Es bedeutete, dass die Welt, selbst wenn es bloß um glanzlose Dinge wie Pinien und Felsen geht, uns mit unendlich vielen Beobachtungen beschenkt und das sich Einfachheit aus vielen kleinen Momenten der Fülle zusammensetzt. Anders gesagt: aus geringfügigen, dezidierten Entscheidungen – Farbe, über die viel nachgedacht, die dann aber in einem gewissen nervösen Tempo aufgetragen wurde. Cézannes extreme Konzentration verwandelt sich in ein Gefühl, das so sorgenfrei und unbeschwert ist wie jenes, das uns in der Natur umgibt. In seinem neuen unscheinbaren Rahmen wirkt Pinien und Felsen kleiner als das Bild, an das ich mich aus den fünfziger Jahren erinnere .Aber seine großartige Stille und die Gesetztheit, mit der es sich von dem Besucher abzuwenden scheint hin zu einem Horizont der Kontemplation, sind ungeschmälert.“

aus: John Updike: Was das MoMA mir mitgegeben hat. in John Updike „Über Kunst: Schriften 1979 – 2008“ erschienen im Piet Meyer Verlag

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